In Kürze
Siedlungsgebiete bieten aufgrund ihrer vielfältigen ökologischen Nischen zahlreichen Tieren wertvolle Lebensräume.
Siedlungsgebiete sind Lebensräume mit spezifischen Eigenschaften. Charakteristisch sind die klimatischen Verhältnisse mit Wärme- und Trockeninseln, eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensraumtypen auf kleinem Raum (Habitatmosaik), die Zerschneidung von Lebensräumen aufgrund von Verkehrsachsen und eine räumlich sowie zeitlich variierende Nutzung durch den Menschen. Dadurch bieten Siedlungsgebiete eine Vielzahl an unterschiedlichen ökologischen Nischen, was zu einer hohen Artenvielfalt führt [1].
Eine der grössten Bedrohungen für Wildtiere ist die Zerstörung und der Verlust ihrer Lebensräume. Ausserhalb des Siedlungsgebiets trägt die Intensivierung der Landwirtschaft massgeblich zum Verlust der Biodiversität bei [11]. Entsprechend tragen urbane Räume eine grosse Verantwortung zur Erhaltung der Lebensräume der Wildtiere. Es gilt, bestehende Wildtier-Populationen im Siedlungsgebiet zu erhalten, zu schützen und zu fördern.
Wildtierförderung
Um Wildtiere im Siedlungsgebiet zu fördern, sind diese bereits zu Beginn des Planungsprozesses zu beachten und Fördermassnahmen zu definieren. Dabei gelten folgende Prinzipien:
- Bereits vorkommende Arten, mögliche Barrieren und Vernetzungsmöglichkeiten sowie bestehende Förderkonzepte beachten
- Faunistische Leitarten definieren
- Lebensräume und Strukturen den Bedürfnissen der Leitarten anpassen
- Hindernisse, Fallen und Gefahren minimieren
- Mit Fachpersonen zusammenarbeiten
Tierschonender Unterhalt und Rückbau
Eine tierschonende Pflege von Gebäude und Freiraum kann das Vorkommen und die Förderung von Wildtieren stark beeinflussen. Es gilt tierschonende Maschinen einzusetzen und auf die vorkommenden Tierarten und deren Aktivitätszeiten Rücksicht zu nehmen, um diese möglichst nicht zu stören oder sogar zu verletzen oder zu töten.
Dasselbe gilt auch bei einem Rückbau. Zusätzlich sind viele gebäudebewohnenden Tierarten geschützt, sodass bei einem Rückbau die zuständige Fachstelle Naturschutz kontaktiert werden muss.
Faktenblatt
Das Wichtigste ist in diesem Faktenblatt zusammengestellt.
Potenzial
Vorteile Siedlungsgebiet
Zahlreiche Wildtiere wie Vögel, Fledermäuse oder Insekten nutzen Nischen und Nistgelegenheiten an oder in Gebäuden und profitieren von naturnahen Grünflächen in der unmittelbaren Umgebung. Dabei kann das Siedlungsgebiet als Lebensraum für viele Tierarten Vorteile mit sich bringen [1][2][3][4][5]:
- Hohe strukturelle Diversität auf kleinem Raum
- Geeignete Versteck- und Schlafmöglichkeiten dank eines vielfältigen Angebots verschiedener Lebensräume und Infrastrukturelemente
- Grösseres und konstanteres Nahrungsangebot als im Umland (Abfälle, Haustiernahrung, direkte Fütterung)
- Geringere Sterblichkeit im Winter aufgrund der verbesserten Nahrungsversorgung
- Geringerer Jagddruck durch natürliche Feinde
- Flüsse, Bahndämme und Strassenböschungen als Vernetzungskorridore
Nachteile Siedlungsgebiet
Das Leben im Siedlungsgebiet bringt für Wildtiere aber auch zahlreiche Nachteile mit sich [6][8][9][10]:
- Bejagung durch Hauskatzen (v.a. problematisch für Vögel, Amphibien, Reptilien)
- Fragmentierung der Lebensräume durch Gebäude, Verkehrsachsen und andere versiegelte Flächen
- Erhöhtes Sterberisiko durch Kollisionen mit Fahrzeugen und/oder Gebäuden
- Mehr Lärm und Lichtverschmutzung
- Gefährdung und Verlust der Biodiversität und Lebensraumqualität aufgrund der baulichen Verdichtung und zunehmendem Erholungsdruck auf verbleibenden Grünflächen
- Verlust wertvoller Strukturen an Gebäuden (z.B. Mauernischen, geschützte Winkel) aufgrund moderner Bauweise
- Fallen an Gebäuden, im Garten und in der Landschaft (z.B. grosse Fensterfronten, Schächte)
- Zierpflanzen und Steingärten dienen nur bedingt als Nahrungsquellen resp. Lebensräume
Typische Tierarten
Wildtiere benötigen zum Überleben ausreichende Lebensräume von guter ökologischer Qualität, die möglichst engmaschig miteinander vernetzt sind. Dabei sind sowohl die kleinen als auch die grossen Flächen wichtig, sofern sie eine entsprechende Qualität aufweisen und die Lebensraumansprüche der verschiedenen Tierarten erfüllen [4].
Dazu zählt u.a. ein kontinuierliches, reiches Nahrungsangebot, Fortpflanzungsplätze sowie störungsfreie Überwinterungs- und Rückzugsorte.
Diese finden Wildtiere in naturnahen Freiräumen von Siedlungsgebieten vor. Besonders wertvoll sind Grünräume mit einer hohen Vielfalt an Profilen und Kleinstrukturen. So finden beispielsweise Schmetterlinge auf artenreichen Blumenwiesen Nahrung, Wildhecken oder Parkbäume dienen Amseln oder Distelfinken als Brutplätze und Mauereidechsen nutzen Trockenmauern zum Aufwärmen oder als Rückzugsort.
Wildtiere am Gebäude
Beispiele Tierarten
Prinzipien
Arten- und Lebensraumförderung findet im Siedlungsgebiet oft auf Flächen statt, die multifunktional genutzt werden (z.B. als Erholungsraum, für Freizeitaktivitäten). Damit ein möglichst konfliktfreies Nebeneinander von Menschen und Wildtieren im Siedlungsgebiet möglich ist, gilt es, auch die Lebensraumansprüche von Wildtieren bereits im Planungs- und Bauprozess einzubeziehen und in der Realisierung und Pflege von Grünräumen zu berücksichtigen [13].
Hierfür kann es hilfreich sein, sogenannte faunistische Leitarten festzulegen. Dabei handelt es sich um Arten, die in bestimmten Lebensraumtypen mit grosser Stetigkeit vorkommen. Es sind standorttypische Arten, deren Vorkommen qualitativ hochwertige und damit artenreiche Lebensräume anzeigen. Leitarten sind attraktiv und leicht erkennbar. Zudem profitieren zahlreiche weitere Arten von den gezielten Fördermassnahmen, die für Leitarten realisiert werden [14]. Ein mögliches Hilfsmittel ist das Auswahlwerkzeug der Vogelwarte.
Anhand der Ansprüche spezifischer Leitarten kann abgeleitet werden, auf welche Profile und Kleinstrukturen sie während ihrem gesamten Lebenszyklus angewiesen sind. Der Lebenszyklus einer Leitart liefert beispielsweise Hinweise darauf, auf welche Nahrungsquellen, Fortpflanzungs- und Rückzugsorte sie innerhalb des Jahres angewiesen ist.
Die Planung mit Hilfe von faunistischen Leitarten ermöglicht es, ein ganzheitliches Konzept mit Massnahmen in den Grünräumen und am Gebäude zu entwickeln.
Für eine wirkungsvolle Umsetzung ist die Zusammenarbeit mit Fachpersonen essenziell [13]. Dies gilt sowohl für Neubauten als auch bei Sanierungen, Umgestaltungen oder beim Rückbau. Drei übergeordnete Erfolgsfaktoren sind entscheidend, damit urbane Räume geschaffen werden können, die für Menschen und Wildtiere gleichermassen lebenswert sind:
- Frühe Einbindung von Artenexpert:innen in der Konzept-/Entwurfsphase des Planungsprozesses, idealerweise in einer kontinuierlichen Zusammenarbeit in interdisziplinären Planungsgruppen
- Partizipative Gestaltung des Planungsprozesses durch die Einbindung von Stakeholdern wie Bauträger:innen, Bewirschaftung/Pflege, Eigentümer/Mieter:innen und Genehmigungsbehörden in den Planungsprozessen
- Aktives Monitoring und eine Auswertung der Ergebnisse nach der Fertigstellung
Vögel
Säugetiere
Reptilien
Amphibien
Insekten
Verletzte Wildtiere
Planung
Faunistische Leitarten definieren und Fördermassnahmen ableiten
Vernetzung und Barrieren berücksichtigen
Naturnahe Profile und Kleinstrukturen projektieren, langfristiges Bestehen gewährleisten
Naturnahe Pflege planen und langfristig gewährleisten
Monitoring sicherstellen
Minimierung von Fallen und Hindernissen für Wildtiere
Massnahmen im Detail
Mit gezielten Massnahmen – von ganz einfachen bis aufwendigeren – ist es möglich, Grünräume und Gebäude in wertvolle Lebensräume für Wildtiere zu verwandeln. Dabei geht es um ein ästhetisches und ökologisches Gleichgewicht, damit sich Menschen, Wildtiere und Pflanzen wohlfühlen.
Entscheidend ist, der Natur in einem gewissen Rahmen Entwicklungsraum zu lassen, indem nicht gleich alles weggeräumt und ein gewisses Mass an natürlicher Dynamik zugelassen wird.
Organisches Material beispielsweise dient Kleinstlebewesen als Nahrung und wird auf diesem Weg abgebaut. Werden verblühte Blumen, Laub oder Äste weggeräumt, verschwindet für viele Tierarten ihre Lebensgrundlage.
Grundsätzlich gilt, je mehr verschiedene Profile und Kleinstrukturen auf einem kleinen Raum vorkommen, desto interessanter sind die Grünräume für Wildtiere [12].
Während an einem Ort eine Wildtierart bewusst gefördert und geschätzt wird, wird ihr Vorkommen andernorts nicht toleriert – sie gilt als «unerwünschte Art».
Es gilt möglichst früh im Planungsprozess allfällige Konflikte zu eruieren und mit adäquaten Lösungen vorzubeugen. Partizipative Prozesse und die Sensibilisierung betroffener Akteur:innen können massgeblich zur Akzeptanz von Fördermassnahmen beitragen.
Bestehende Planungsgrundlagen berücksichtigen
Lebensräume fördern
Fallen und Hindernisse minimieren
Realisierung
Etablierte Fauna erhalten, schützen und fördern
Konflikte mit «unerwünschten Arten» verhindern
Gestaltung und Anordnung von Lebensräumen und Profilen sind auf die Ansprüche von Wildtieren abgestimmt und untereinander vernetzt
Fallen und Hindernisse für Wildtiere entschärfen respektive keine neuen schaffen
Ideale Zeitpunkte für Eingriffe beachten und Übergangslösungen schaffen
Naturnahe Erstellungs- und Entwicklungspflege gewährleisten
Massnahmen im Detail
Während der Realisierung soll gewährleistet werden, dass die geplanten Profile und Kleinstrukturen möglichst naturnah umgesetzt werden und zur Vernetzung von Lebensräumen beitragen.
Zudem soll bei bestehenden Anlagen gewährleistet werden, dass grössere Eingriffe etappenweise durchgeführt werden, damit stets genügend Nahrungsressourcen und Rückzugsmöglichkeiten für Wildtiere bestehen bleiben.
Ebenso sollen Fallen und Hindernisse für Wildtiere während der Realisierung entschärft werden bzw. dürfen keine neuen entstehen.
Falls während des Realisierungsprozesses Wildtiere oder ihre Fortpflanzungsstätten und Rückzugsorte entdeckt werden, gilt es primär, sie zu schützen und in jedem Fall Fachexpert:innen beizuziehen. Im Idealfall bleiben die Fortpflanzungsstätten und Rückzugsorte in ihrer Form bestehen.
Falls dies nicht möglich ist, sollten die Arbeiten zumindest bis zum Ausfliegen/Auszug der Jungtiere oder dem Verlassen der Winterquartiere unterbrochen und anschliessend adäquate Ersatzlebensräume zur Verfügung gestellt werden.
Erst als letzte Möglichkeit steht die Umsiedlung der Wildtiere durch Fachexpert:innen an.
«Unerwünschte Arten»
Pflege
Lebensräume und Kleinstrukturen möglichst naturnah und extensiv pflegen
Einsatz von tierschonenden Geräten wie Balkenmäher, Sense, Rechen oder Handarbeit
Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Schneckenkörner
Lebenszyklus von Wildtieren bei Pflegemassnahmen berücksichtigen
Ungestörte Bereiche zulassen
Tierschonender Gebäudeunterhalt
Sanierungen tierschonend konzipieren und umsetzen
Massnahmen im Detail
Prinzipien tierschonende Grünraumpflege
Prinzipien tierschonender Gebäudeunterhalt
Sanierungen
Rückbau
Fachpersonen beiziehen
Wenn möglich wertvolle Bereiche erhalten
Übergangslösungen prüfen
Umsiedelung von Wildtieren prüfen
Massnahmen im Detail
Beim Rückbau von Profilen, Kleinstrukturen oder Gebäuden besteht die Gefahr, dass Wildtiere gestört, verletzt oder schlimmstenfalls getötet sowie ihre Lebensräume dauerhaft zerstört werden.
Um Konflikte zu vermeiden, gilt es, bereits in der Planungsphase Fachexpert:innen einzubeziehen – je früher, desto besser. Dabei sollen insbesondere die folgenden Fragen zum Schutz der Wildtiere geklärt werden:
- Müssen alle Bereiche des Aussenraums/Gebäudes, die von Wildtieren genutzt werden, zurück gebaut werden? Gibt es Bereiche, die aus faunistischer Sicht besonders wertvoll sind und bestehen bleiben können?
- Kann der Rückbau in einem Zeitraum stattfinden, in dem die tierischen Bewohner die Lebensräume nicht nutzen oder zumindest die Fortpflanzungszeit abgeschlossen ist?
- Können während des Rückbaus Übergangslösungen (z.B. externe Nisthilfen als Ersatz für Gebäudenischen) angeboten werden?
- Können gewisse Wildtiere vor dem Rückbau umgesiedelt werden?
Bestimmungen
Gesetzliche und planerische Grundlagen für die Planung, Realisierung, Pflege und Rückbau (kein Anspruch auf Vollständigkeit):